Jörg Borgerding

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Leseprobe: Wie ich schon einmal ziemlich nackt gewesen bin

Und dann war die Führung zu Ende, und Jupp blickte auf seine Uhr und sagte, so, und nun sei es 12:15 Uhr, und dass er für 13 Uhr im Restaurant Mayapan am Busparkplatz ein Mittagessen für uns reserviert hätte, und dass wir uns in einer halben Stunde am Haupttor treffen und dann zum Essen gehen würden, und wir bis dahin machen könnten, was wir wollten. Alle außer der Dichterin applaudierten ihm. Ich hoffte sogleich, beim Essen wieder neben der Verena sitzen zu können, merkte aber gleichzeitig, dass ich nicht mehr so ganz frisch war, weil mir alles vom Schweiß klebte, und beschloss daher, hinunter zum Meer, das einige Meter unter der Tempelanlage sein Wesen trieb, zu gehen, und mich ein wenig aufzufrischen, damit dass sich die Verena nicht vor mir ekelt, falls ich ihr Tischherr sein sollte. Bruno wünschte mir viel Vergnügen und sagte, er wolle noch einige fotografische Aufnahmen mit seiner guten alten 500er Hasselblad machen, und dass wir uns dann ja spätestens beim Essen sehen würden.

Direkt unterhalb der Tempelanlage flanierten zahlreiche Besucher, auch einheimische Kinder badeten dort. Aber nur wenige hundert Meter entfernt waren Meer und Strand so leer wie das Strandbad am Paslamer Waldsee im November. Nach wenigen Minuten war ich dort angekommen, an einem kleinen Felsvorsprung, der bis ins Wasser reicht, schaute mich noch einmal um, sicher zu sein, dass niemand in der Nähe sei, zog mir Schuhe, Strümpfe, Hosen und Hemd aus, hängte alles in einen Strandweinbaum, legte den neu erworbenen Panamahut darauf, und lief - so nackt wie ich einst zur Welt gekommen war - hinein ins fruchtwasserwarme Wasser, ließ mich sinken, tauchte ein und unter, machte einige Schwimmzüge, prustete wie ein Seehund, spielte toter Mann, ließ mich treiben und von der Sonne bescheinen, wusch mir Schweiß und jahrtausendalten Mayastaub aus Haut und Haaren, und kehrte nach nur wenigen Minuten herrlich erfrischt und das Salzwasser aus den Augen reibend zurück ans Ufer zu dem Strandweinbaum, dem ich gerade eben meine Kleidung anvertraut hatte.
Ja, und alles, was da jetzt noch an den Ästen dieses Baumes hing, waren seine tellergroßen grünen Blätter. Lange nicht mehr hatte ich mich so nackt gefühlt wie in jenem Moment am Strand von Tulúm, in der mexikanischen Provinz Yucatán.

 

5.1. Wie ich schon einmal ziemlich nackt gewesen bin

 

Die Marie und ich, wir waren schon eine ganze Weile ein Paar aber noch nicht verheiratet, als wir in einem Überschwang spätjugendlicher Leichtigkeit der Sinne an einem sehr frühen Sonntagmorgen in einem ungewöhnlich heißen Juni beschlossen, gemeinsam ein Bad zu nehmen. Nach dieser schweißtreibenden Nacht, die wir zu großen Teilen in einer Miesbacher Diskothek durchtanzt hatten und die uns auf dem Weg heim sah, also dergestalt, dass ich die Marie bei ihrem Elternhaus absetzen wollte bevor ich mich auf den Weg in mein eigenes Bett machte - denn alle Möglichkeiten anderer Formen des Nachtlagerns waren damals noch unvorstellbar - nach dieser Nacht und vor unserer Trennung für einige lange Stunden schlug ich vor, ein erfrischendes Bad im Paslamer Waldsee zu nehmen, und ich gebe es zu, ich hatte gewisse geschlechtliche Hintergedanken. Der Marie ihr prompter Einwand zu meinem Vorschlag lautete, sie hätte doch gar keinen Badeanzug nicht dabei, und dann sah ich meine Chancen auf einen körperlichen Kontakt der angenehmsten Art schwinden und konterte beherzt, ja, und wo denn da das Problem sei, und es wäre noch nicht einmal 5 Uhr, noch lange nicht, und ich deutete, es zu bekräftigen, auf die Armaturenuhr meines Kadetts, und die zeigte auf 4:40 Uhr, und ich sagte, da, sie sollen nur schauen!, und es sei noch eine Stunde hin bis zur Frühmesse, wer, also, solle uns denn am See sehen, kämen doch die frühesten Frühmessebesucher frühestens um 5:45 Uhr, und wir wollen ja nur einige wenige Minuten in den herrlich frischen See, an dessen Ufer wir direkt parkten, obwohl's verboten war, aber wer sollte sich darüber beschweren, mitten in der Nacht, und ich sagte, es sei also gar keine Gefahr, niemand würde uns sehen, und sie könne bedenkenlos ein Bad mit mir nehmen, wie weiland Eva und Adam, und sie, die Marie, solle nur sehen, das würde ein Mordsgaudi geben, und dann war sie auch schon überzeugt.

Sie - ich glaube, so schnell war ich noch nie aus der Kleidung gestiegen, wie an jenem Morgen am Paslamer Waldsee, und auch die
Marie hatte ihre wenigen Kleidungsstücke rasch abgelegt und dann liefen wir Hand in Hand in den See hinein und uns blieb einen Moment die Luft weg, so kalt war das Wasser noch, und wir standen darinnen, und es reichte mir bis knapp untern Bauchnabel und der Marie etwas darüber, und wir küssten uns als hätten wir es grad erfunden und vergaßen die Welt, und ich spürte ein gewaltiges Verlangen nach der Marie, und sie auch nach mir, das sah ich ihr an und spürte es, denn nicht nur meine Hände waren an der Marie unterwegs, sondern auch die ihren an mir, und die frühen Vögel besangen unser stürmisches Schnäbeln und mein Puls schlug schneller und selbst das kalte Wasser konnte den Blutstrom nicht bremsen, und das bemerkte die Marie und fragte mich beim Luftholen zwischen zwei Küssen, ob ich einen Blausiegel dabei hätte, und ich sagte, ja, sicher, da, im Auto, im Handschuhfach, und deutete auf den Kadett ohne die Marie aus den Augen zu lassen, die aber folgte mit dem Blick meinem Fingerzeig und sagte, ohje, und Scheiße, verdammte! - und dann schaute ich auch und sah, am Kadett angelehnt, den Ignaz Bechtlgruber in seinem Sonntagsstaat, und er lachte verschmitzt und winkte uns zu. Und dann pfiff er auf zwei Fingern und winkte in Richtung St. Elke und rief, los!, und sie sollen alle einmal herkommen, das sei ein schönes Bild, ein reines Freiluftspektakel, geradezu biblisch, die leibhaftige Aufbereitung der Schöpfungsgeschichte, gewissermaßen!, und dann kamen etliche Paslamer, die mir und uns fast alle schon lange bekannt waren, und wir ihnen auch, und sie waren alle festlich gekleidet und zweifellos auf dem Weg zur Frühmesse, und die blieben am Ufer neben dem Ignaz stehen und lachten und winkten uns und riefen einiges, das ich aber nicht aufnahm, und die Marie sah mich entsetzt an und sagte, soso - noch nicht einmal 5 Uhr ist's, ja!?, und dann fiel mir diese verschissene Zeitumstellung ein, die erstmals für jenes Jahr von der Regierung beschlossen und aber von mir nicht umgesetzt wurde, weil ich sagte, einen solchen Schmarren mache ich nicht mit, und auch der Berti hatte sofort seinen Protest und Widerstand angemeldet und auch sein Leben lang nie eine Uhr vor- oder zurückgestellt, was allerdings an jenem Morgen nur von eher unerheblicher Relevanz war. Und dann sagte die Marie, los, und ich solle doch endlich etwas tun!, und ich fragte, ja, was denn?, und sie sagte, ich würde doch wohl nicht glauben, dass sie nackt aus dem Wasser steigen würde, und ich sagte, dann warten wir halt noch 10 Minuten, dann sei die ganze Bagage in der Kirche, und die Marie sagte, in 10 Minuten sei sie an Unterkühlung gestorben, und ich musste ihr schweigend recht geben, denn ich spürte des Wassers Kälte auch in den Beinen und in einem anderen Körperteil, der eben noch pulsierend warm im Wasser gestanden hatten, und die Marie jammerte, so etwas Peinliches sei ihr noch nie passiert, und ich sagte, sei still, Marie, ich geh und hol dir deine Bluse, und dann stapfte ich aus dem Wasser und verdeckte meine Blößen mit den Händen, also sowohl die vordere als auch die hintere, und das Kirchvolk applaudierte, und der Ignaz sagte, ja, und dass er Verständnis hätte, weil, er sei ja auch einmal jung und voller Saft gewesen, und ich sagte, na, das müsse aber sehr lange her sein, und dann lachten alle, die das hörten, und dann beugte ich mich ins Auto hinein und griff mir meine Unterhose und mein T-Shirt und der Marie ihren Schlüpfer und ihre Bluse und dann ging ich ins Wasser zurück und reichte ihr ihre Kleidung und zog mir die meinige an, und dann begannen die Glocken von St. Elke zu läuten und die Kirchgänger winkten uns zu und gingen hinüber zur Kirche und durchs große Portal hinein. Und die Marie und ich verließen das Wasser, und die Marie sagte, so, und ich solle sie sofort nach Hause bringen, und solle es ja nicht wagen, sie jemals wieder anzurufen oder zu ihr zu kommen, und dass es aus sei mit uns, weil, ein Mann, der sie so demütigen würde, wie ich es getan habe, der könne ihr gestohlen bleiben.
Ich setzte die entsetzte, pitschnasse Marie vor ihrem Elternhaus ab und stellte sofort die Uhr vom Kadett eine Stunde vor. Am nächsten Tag waren wir das Gesprächsthema in Paslam, hatten beide eine heftige Erkältung, und ziemlich genau ein Jahr später heirateten wir.

Er hätte mich und uns warnen sollen, sagte Jupp dann später, als ich - nur mit dem knielangen Poncho bekleidet - am Tisch im Restaurant Mayapan zwischen ihm und der Lyrikerin saß - er hätte uns warnen sollen vor einheimischen Kindern, die ja allesamt aus armen Verhältnissen stammen, und dass der knochenharte und steintrockene Boden, dem deren Eltern ihre Landwirtschaft abringen, oft nicht genug hergibt um alle Münder zu stopfen, und dass diese Kinder darum dazu neigen, bei den Touristen zu stibitzen und das Geklaute zu verkaufen und sich und ihren Familien dieser Art ein Zubrot zu verschaffen, und Verena lachte und strahlte mich an und klopfte mir sogar auf den Oberschenkel, was sich sehr gut anfühlte, und sagte zu mir, siehst du, Schnurzelchen, so hast du ungewollt einem armen Campesino und seiner Familie den Sonntagsbraten spendiert und somit ein gutes Werk getan, und das fand ich dann auch und war froh, dass ich nur etwa zwanzig Dollar und keine Papiere in der Hosentasche gehabt hatte.

Ja, und dann musste ich noch einmal erzählen, wie die Lyrikerin, die mir nun am Tisch gegenübersaß - wie die in meiner größten Not eben dort, wo ich nackt am Strand stand, geradezu auftauchte, während ich mich aus Scham bücklings und rückwärts gehend ins Wasser zurückzog - wie ich ihr zurief, dass man mir alles geklaut hätte, Schuhe, Hose Hemd, und dass sich die Dame zunächst vor Lachen in den Sand gesetzt hat und sich dann aber wieder besann und mir zurief, ja, und ich solle mich nicht so haben, und sie hätte schon mehrere nackte Männer gesehen, und die Unterschiede wären nur marginal und ich könne ruhig herauskommen, und sie könne mir helfen, wenn ich mir helfen lassen wolle, und das wollte ich natürlich.

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Jörg Borgerding:Paslam
Jenseits von Paslam
Kreuzau: Auslesen-Verlag 2010
ISBN 978-3939487159
189 Seiten 12,90 € (D)

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