Jörg Borgerding

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Der Venusbecher

Kühlschrank zu verschenken

Der Drippendeller

 

Der Venusbecher(Leseprobe)

Vor sechs Wochen, an einem Samstagmorgen, wollte ich gerade Bergfelds EDEKA-Laden betreten um Brötchen und Zeitungen zu kaufen, als mir mein Freund Siggi in die Arme lief. Er verließ soeben den Laden, eine Plastiktüte in jeder Hand. "Moin, Siggi! Na, so früh schon eingekauft? Zeig doch mal, was du Schönes in der Tüte hast!" Ich griff nach einer der beiden Einkaufstaschen und bemerkte sofort Siggis verlegenen Gesichtsausdruck, als ich in die Tasche hineinsah. Joghurt.
Die Einkaufstüte war gefüllt mit gut einem Dutzend Joghurttöpfchen der Marke "Venusbecher". Ich kannte sie aus der Werbung. Leuchtend rot, mit großer, weißer Aufschrift: "Venusbecher", darunter etwas kleiner: "macht Lust". Zwei fast nackte Frauen mit sinnlichem Blick sind darauf zu sehen. Und der Text: Eine Mischung von ausgewählten, stimulierenden Ingredienzen und zartem Joghurt ermöglicht das neue Lusterlebnis durch den Venusbecher.

Nun muss ich sagen, dass Siggi alles andere als ein Joghurt- oder gar Müsliesser ist. Ein gestandener Mann, anfang Fünfzig, kräftige Statur, um nicht zu sagen: dick. Ein Fleischfresser, wie er im Buche steht. Es kam mir nicht in den Sinn, dass er die Joghurtbecher für sich gekauft haben könnte. Ich vermutete gleich, sie seien für Ulrike, seine Ehefrau. Auch sie eine Frau von Statur. Rubens hätte seine Freude an ihr gehabt. Vielleicht auch schon nicht mehr. Wahrscheinlich wollte Ulrike wieder eine Diät beginnen, um diese nach einigen Tagen, frustriert wegen der Wirkungslosigkeit, wieder abzubrechen. Ich hatte mit meiner Vermutung recht. Fast, jedenfalls. "Na, will Ulrike wieder diäten, Siggi?"
Er sah sich verlegen um, seine ohnehin dicken und roten Wangen färbten sich noch ein wenig dunkler. Er räusperte sich und erwiderte leise: "Nein, keine Diät ... Es ist so, Jörg: wir sind seit 26 Jahren verheiratet ..."
"Ja, weiß ich, ich soll bei eurer Silberhochzeit dabei gewesen sein, hat man mir zwei Tage später erzählt!" Siggi schmunzelte.
"Ja, warst schön voll, den Abend. Also, weißt du, nach 26 Jahren Ehe, da wird so manches ... Will sagen, es ist viel Gewohnheit, Langeweile kommt auf. Samstagabend - frisch gebadet, wenn überhaupt. Verstehst du?"
Ich verstand. Aber noch nicht ganz.
"Naja, und dann hab ich neulich in der Praline ..."
Siggi war schon immer ein Freund guter, erotischer Literatur gewesen. "... so einen Artikel gelesen: >Frischen Sie ihr Sexleben auf!<. Und da stand drin, dass es einen enormen Lustgewinn bringt, wenn man seine Partnerin, also meine Ulrike, zum Beispiel, mit Joghurt ... also, sie gewissermaßen ... eincremt, und dann ... Verstehst du, Jörg?"
Ja - jetzt verstand ich.

Die Vorstellung, wie Siggi seine Ulrike von oben bis unten mit Joghurt einschmiert und dann abschlabbert, hätte mich fast aus der Fassung gebracht. Es war ein kräftiger Biss auf die Zunge erforderlich, um nicht laut loszuplatzen, dort, vor dem Eingang zum Supermarkt. "Jaja, verstehe Siggi, da gabs mal so 'nen Film ...", murmelte ich während die schmerzende Zunge mir Tränen in die Augen trieb. "Du meinst, das klappt? Und - was sagt Ulrike dazu?"
Siggi zog die Stirn in Falten. "Sie weiß es noch gar nicht, hab nichts davon erzählt. Heut' Abend, vielleicht ..."
"Na, da bin ich aber gespannt, Siggi! Nächsten Donnerstag beim Doppelkopf musst du mir unbedingt erzählen, wie es war!"
"Klar, Jörg. Aber erzähl' bitte den anderen nichts davon, das wäre mir peinlich, verstehst du?"
"Mach dir keine Sorgen, Siggi. Ich schweige, Ehrensache!"
Wir verabschiedeten uns. Kopfschüttelnd und lächelnd begab ich mich in den EDEKA-Markt um die Brötchen fürs Wochenende zu kaufen.

Am darauffolgenden Donnerstag fehlte Siggi bei unserem Doppelkopfabend. Auch an den nächsten Donnerstagen mussten wir unseren vierten Mann unter den anderen Kneipengästen suchen. Mir war klar, was das bedeutete: Siggi hatte mit dem Wiederbelebungsversuch an seinem halbtoten Sexualleben eine Katastrophe ausgelöst. Dergestalt, dass Ulrike, angewidert von seinem Ansinnen, ihm jeglichen Umgang mit seinen Freunden verboten hatte, vermutend, dass wir ihn auf jene abstruse Idee gebracht hätten. Mehrmals hatte ich den Telefonhörer in der Hand; ich wollte Siggi anrufen, um zu erfahren, was geschehen sei. Die Angst vor der Wahrheit und vor Ulrike ließ mich den Hörer jedesmal stumm wieder auflegen.

Heute morgen habe ich Siggi wiedergesehen.
Ich bin im EDEKA-Laden an ihm vorbeigegangen, habe ihn nicht auf Anhieb erkannt. Sein "Hey - Jörg, kennst du mich nicht mehr?" ließ mich verharren und zu ihm umdrehen. Das war nicht mehr mein Siggi.
Blass die Wangen, schmal das Gesicht. Der Hemdkragen schlotterte um seinen ehemaligen Stiernacken herum. In den Hosengurt hatte er drei zusätzliche Löcher gestanzt, um die weit gewordene Hose am Rutschen zu hindern. Das Schlimmste: Siggis Augen, die immer so fröhlich glänzten, besonders, wenn sie eines fetten Eisbeines mit Sauerkraut, einer großen Schlachteplatte oder einer Riesenportion Grünkohl mit Bauchspeck und Bregenwurst, oder eines großen, vollen Bierglases ansichtig wurden - sie hatten ihren Glanz verloren. "Mein Gott, Siggi! Wie siehst du aus! Was ist passiert? Bist du krank? Wir haben uns um dich gesorgt, Junge!" Er schüttelte den Kopf.
"Nein-nein, nicht krank. Mir geht es gut, soweit. Macht euch keine Sorgen ...!"
Verstohlen wischte Siggi eine Träne aus dem Augenwinkel.
Erst jetzt bemerkte ich den Inhalt seines Einkaufswagens: Dutzende von "Venusbechern" verschiedenen Geschmacks: Schwarze Johannisbeere, Kirsche, Pflaume, Aprikose, Nuss und andere. Von allen Bechern lächelten mich die beiden halbnackten Damen verheißungsvoll an. Dazu Konfitüren, Marmeladen, Kefir, Quark, Sahne und Buttercremeschnittchen. Außerdem hatte Siggi Obst und Gemüse eingekauft: Karotten, Maiskolben, Gurken, Zucchini, Bananen, Weintrauben. Siggi hatte noch nie gerne Obst und Gemüse gegessen. Aber immerhin: Es lagen auch einige Dosen Bier in seinem Wagen. "Sag mal, bist du Vegetarier geworden, Siggi?"
Er begann, zu schluchzen, Tränen rollten über seine eingefallenen Wangen.
"Ulrike. Der Venusbecher. Weißt du noch? Der Zeitungsartikel ..."
Ich wüsste noch, sagte ich und drängte ihn in eine ruhige Ecke des Supermarktes, wo er ungestört erzählen konnte.

"Als ich ihr davon erzählte, an dem Abend, war sie zunächst außer sich vor Entrüstung. Hat mich angesehen wie einen Triebtäter, einen Kinderschänder, einen Perversen, wie ich so dasaß, im Bett, neben ihr, den Joghurtbecher in der Hand. Ich wollte mich gerade zurückziehen, so peinlich, Jörg, so peinlich war mir das! Ich kam mir vor wie ein altes Ferkel. Da sagt sie plötzlich, wenn ich schon da wäre mit dem Joghurt, solle ich mal machen, dieses eine Mal. Und dann hat sie ihr Nachthemd ein wenig aufgeknöpft ..."

Und ihm ihre riesigen Brüste präsentiert.

"... ich hab sie dann ganz vorsichtig mit Heidelbeerjoghurt ..."

Eingeschmiert. Vermutlich jeweils eine der ganzen Früchte auf ihren Brustwarzen positioniert. Und dann alles abgelutscht. Die ganzen Früchte vorsichtig zwischen Zunge und Gaumen zerdrückt, so, dass Ulrikes Brustwarzen dabei zärtlich massiert wurden.

"... als ich den ganzen Joghurt dann ... na ja ... abgeleckt hatte, hat sie mich ganz merkwürdig angesehen. Und hat gefragt, ob ich noch mehr Joghurt gekauft hätte. Und dann hat sie ihr Nachthemd ..."

Ganz aufgeknöpft. Langsam, Knopf für Knopf.

"Als ich mit den anderen Joghurtbechern aus der Küche zurückkam, lag sie splitternackt vor mir. Wie schon seit Jahren nicht mehr, Jörg. Und ihre Blicke ... und sie hat so merkwürdig geatmet. Und gesagt, ich solle sie ..." ...

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Kühlschrank zu verschenken(Leseprobe)

Natürlich war er schon alt, dreißig Jahre und mehr hatte er auf dem Kühlgitter. Aber er kühlte alles, was man in ihn hineinstopfte: Bier so gut wie Salate, Braten und anderes. Er war nur noch Bedarfskühlschrank, stand im Keller und wurde benutzt, wenn vor und nach Feiern erhöhter Kühlraumbedarf bestand.
„Schlimm sieht er aus!“, befand meine Frau und begab sich, nicht zu Diskussionen darüber bereit, ob das wirklich erforderlich sei, zum Elektrogeschäft, um einen neuen Zweitkühlschrank zu kaufen. Ich sollte derweil den alten, leicht angerosteten Bosch zur Müllannahmestation bringen.
„Warum denn wegwerfen? Er funktioniert doch noch! Es gibt bestimmt junge Leute, die wenig Geld haben und einen Kühlschrank brauchen, sei er noch so alt. Oder Spätaussiedler, Asylbewerber. Arme Menschen eben. Wir können ihn doch in die Zeitung setzen: Zu verschenken!“ „Mach was du willst!“, sagte sie und entschwand. Genau das tat ich: ich rief bei unserer Lokalzeitung an und bot den Kühlschrank als „alt, aber funktionstüchtig“, zum Verschenken an.

Am folgendem Samstag, dem Tag, als unser Altbosch in der Zeitung angeboten wurde, klingelte es um 5:30 Uhr an der Haustür. Es war der Zeitungsmann, ein leicht gehbehinderter Frührentner. „Ham se den Kühlschrank noch?“, fragte er mich grußlos, als ich ihm in Pyjamahose die Tür öffnete. Woher er den wüsste, dass ich es sei, der den Kühlschrank... „Meine Schwesta is bei de Anzeigenannahme. Die sacht mir imma Bescheid, wenn was Brauchbares umsonst is.“ Das erklärte alles. Ich führte ihn in die Abstellkammer, schaltete das Licht an und wenige Sekunden später wieder aus. „Zu alt! Der frisst zuvill Strom„, winkte der Zeitungslieferant nach einem kurzen Blick auf den Bosch ab und begab sich wieder auf den Arbeitsweg.
„Wegen deiner Menschenliebe kann ich nicht mal am Wochenende ausschlafen!„, murmelte meine Frau, als ich ins Bett zurückkehrte. ...

Wenig später hörte ich das Telefon klingeln. Zum Glück war ich noch nicht wieder eingeschlafen. "Guten Tag, hier spricht Frau Heidorn!", meldete sich freundlich eine etwas zittrige, offensichtlich zu einer älteren Frau gehörenden Stimme, "Sie verschenken doch einen Kühlschrank?" Nachdem ich dieses bejaht hatte, erklärte sie, keinen Kühlschrank zu brauchen, sie hätte einen und der wäre sehr gut. "Aber haben Sie vielleicht auch einen Farbfernseher zu verschenken?", fragte sie, und als ich dies verneinte, weiter: "Oder einen Video? Den hab ich noch nicht!" Leider hätte ich auch keinen Videorecorder übrig, entgegnete ich ein wenig barsch. "Darum müssen Sie doch nicht gleich böse werden, junger Mann! Man wird doch mal fragen dürfen!"

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Der Drippendeller(Leseprobe)

Ich bin Drippendeller.

So wie mein Vater, und dessen Vater vor ihm. Als ich noch ein kleiner Junge war, und meine Spielkameraden davon träumten, Lokführer, Raumfahrer oder General zu werden, war mir schon völlig klar, welchen Beruf ich dermaleinst ausüben würde: den des Drippendellers!

Mein Großvater war nicht nur der erste Drippendeller in unserer Familie, er war überhaupt der erste Mensch, der dieses Handwerk ausübte. Ein Zufall war es, der meinen Opa zum Drippendeller werden ließ. So, wie es oft im Leben die Zufälle sind, die gravierende Richtungsänderungen in den menschlichen Lebenswegen erzwingen. Ein Defekt in der Kurbelmechanik meiner Urgroßmutter Butterfass initiierte den Beginn der Drippendellerei. Uroma war schon im Begriff, sich ein neues Butterfass zu kaufen, da das alte reichlich zwanzig Jahre lang einen ordentlichen Dienst geleistet hatte. „Warte mal“, mag mein Großvater seine Mutter aufgehalten haben, während er die mit der Hand zu betreibende Rührmechanik des Fasses in Augenschein nahm. Eine kleine Zwischenmuffe war, infolge mangelnder Wartung und zuwenig Öl, aus der ihr zugedachten Verschlonzung gerutscht. So kompliziert und völlig unerreichbar war die Lage, in die sich die Muffe begeben hatte, dass ein Reparaturversuch mit herkömmlichen Werkzeugen aussichtslos gewesen wäre. Mein Großvater, ein Jüngling von fünfzehn, vielleicht sechzehn Jahren damals, aber pfiffig und ingeniös, verschwand für einige Stunden in seines Vaters Werkstatt. Man hörte ihn hämmern und feilen, sägen und fluchen. Am frühen Abend jenes für seinen - und auch meinen Lebensweg so entscheidenden Tages - kam er plötzlich und möglicherweise: „Ich habs“ rufend aus dem Schuppen gerannt. Er lief in die kühle Küche, in der das Butterfass stand. In der Hand hielt er ein merkwürdig aussehendes Gerät, aus miteinander verflochtenen, dicken Drähten, von denen einige horizontal, andere vertikal beweglich waren. Er umschlang die irregeleitete Muffe des Butterfasses mit einer dieser Schlaufen, zog dann entschlossen an der seitlich etwas abstehenden, drahtenen Kurbel, um dann mit einem kurzen, kräftigen Hieb der rechten Hand auf eine mit einer Holzkugel versehenen Metallstange zu schlagen. Ein trocknes „Plopp“ quittierte den Erfolg der Aktion. Die Muffe saß wieder an dem für sie bestimmten Platz, und das Butterfass versah noch etliche Jahre gute Dienste. ...

   

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Jörg Borgerding:Drippendeller
Der Drippendeller
Auslesen-Verlag 2008
ISBN: 978-3-939487-09-8
183 Seiten 12,90 € (D)

Bestellmöglichkeiten:
via email bei mir: jfobg@web.de
oder beim Auslesen Verlag www.auslesen-verlag.de
sowie in jeder realen und virtuellen Buchhandlung

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